10. Durchführungs­verordnung zum LS-Gesetz (1939)
Quelle

Zehnte Durchführungsverordnung zum Luftschutz­gesetz

(Luftschutzmäßiges Verhalten bei Luftangriffen und Luftschutzübungen)

Vom 1. September 1939 (RGBl. I S. 1570)

Auf Grund des §12 des Luftschutz­gesetzes vom 26. Juni 1935 (Reichsgesetzbl. I S.827) wird im Einvernehmen mit den zuständigen Reichsministern verordnet:

Teil I

§ 1 – Luftschutzmäßiges Verhalten nach Aufruf des Luftschutzes

  1. Der Aufruf des Luftschutzes wird durch den örtlichen Luftschutzleiter bekanntgegeben.
  2. Nach Aufruf des Luftschutzes sind folgende Maßnahmen durchzuführen:
    1. Die Gasmaske ist, soweit vorhanden, ständig griffbereit zu halten und auf der Straße mitzuführen.
    2. Luftschutz­räume, die friedensmäßig genutzt werden, sind sofort so herzurichten, daß sie ihrem Luftschutzzweck jederzeit zugeführt werden können.
    3. Fabriksirenen, Schiffssirenen und sonstige Signaleinrichtungen, deren Ton mit den für Fliegeralarm, Entwarnung und Feueralarm festgelegten Signalen verwechselt werden könnte, dürfen nicht mehr in Tätigkeit gesetzt werden.
    4. Die Verdunklung ist nach den Vorschriften der Achten Durchführungs­verordnung zum Luftschutz­gesetz vom 23. Mai 1939 (Reichsgesetzbl. I S. 965) durchzuführen.
    5. Das Selbstschutzgerät ist dem Luftschutzwart nach den Vorschriften der Siebenten Durchführungs­verordnung zum Luftschutz­gesetz vom 23. Mai 1939 (Reichsgesetzbl. I S. 965) zur Verfügung zu stellen.
      1. Größere, im Freien verbleibende Tierbestände sind nach Möglichkeit in kleinere Gruppen zu unterteilen. Zirkusse, Menagerien und ähnliche bewegliche Anlagen sind in Stadtrand­gebiete umzuquartieren.
      2. Lebensmittel in gewerblichen Betrieben und Haushaltungen sowie Bedarfs­gegenstände in gewerblichen Betrieben sind möglichst nicht offen liegen zu lassen, sondern durch Verwahren in dicht schließenden Schränken oder geeigneten Behältnissen, durch Einwickeln oder allseitiges Bedecken gegen Einwirkungen chemischer Kampfstoffe zu schützen. Bei Futtermitteln ist nach Möglichkeit sinngemäß zu verfahren. Auf Stallböden lagernde Futtermittel sind möglichst anderweitig und brandgeschützt unterzubringen. Straßenauslagen sind von Lebens= und Futtermitteln sowie von Bedarfs­gegenständen zu räumen.
      3. Offen beförderte oder unverpackt im Freien lagernde Lebens= und Futtermittel sind nach Möglichkeit durch Überdecken mit geeigneten Abdeckungsmitteln zu schützen.
      4. In ländlichen Gebieten und Kleinsiedlungen sind die zu Nr. 6 Buchst. a bis c genannten Maßnahmen nur durchzuführen, sofern sie aus Gründen des Luftschutzes von der Kreispolizei­behörde durch polizeiliche Bekannt­machung angeordnet werden.
    Die Vorschriften des § 2 Abs. 2 Nrn. 8 und 11 bleiben unberührt.

§ 2 – Luftschutzmäßiges Verhalten bei Fliegeralarm

  1. Der Fliegeralarm wird durch Großalarmanlagen (Heulton) ausgelöst, in Orten ohne Großalarmanlagen durch die von dem örtlichen Luftschutzleiter bekanntgegebenen Alarmmittel oder Zeichen.
  2. Nach Auslösung des Fliegeralarms sind folgende Maßnahmen durchzuführen:
    In Gebäuden
    1. Alle Personen, die sich in Gebäuden, insbesondere Wohnungen, Büros, Warenhäusern, Theatern, Lichtspieltheatern, Gastwirtschaften, Wartehallen, Vergnügungs­stätten usw. befinden, haben sich sofort, soweit vorhanden mit Gasmaske, in die vorhandenen Luftschutz­räume zu begeben. Die Verpflichtung zum Aufenthalt im Luftschutzraum erstreckt sich nicht auf Personen, deren körperlicher Zustand dies nicht zuläßt, einschließlich des Pflege­personals.
    2. Vor Aufsuchen des Luftschutzraumes sind nach Möglichkeit folgende Maßnahmen durchzuführen:
      1. Betriebe, insbes. Kaufläden, sind zu schließen;
      2. Fensterläden, =rolläden, =jalousien sind zu schließen und alle Fenster weit zu öffnen und festzustellen. Hierbei darf nicht gegen die Verdunklungs­pflicht verstoßen werden. Alle Türen sind zu schließen;
      3. Alle Hauptgashähne sind zu schließen. Falls ein Hauptgashahn für das ganze Haus vorhanden ist, genügt es, wenn dieser geschlossen wird.
    Im Luftschutzraum
    1. Im Luftschutzraum darf nicht geraucht und kein offenes Licht angezündet werden.
    2. Überflüssiges Gerät darf nicht mit in den Luftschutzraum genommen werden. Das gleiche gilt für Tiere mit Ausnahme von Blindenhunden und Diensthunden, die mit Maulkorb versehen sind und an der Leine geführt werden.
    3. Das weitere Verhalten bestimmt der Ordner, Luftschutzwart oder der sonst mit der Aufsicht im Luftschutzraum Betraute.
    Außerhalb von Gebäuden
    1. Wer vom Fliegeralarm auf Straßen, Plätzen usw. betroffen wird, hat den nächsten öffentlichen Luftschutzraum aufzusuchen oder andere Deckungs­möglichkeiten in Gebäuden auszunutzen.
    2. In unbebautem Gelände ist jede mögliche Deckung (Gräben, Höhlen usw.) auszunutzen. Sind Deckungs­möglichkeiten nicht vorhanden, so bietet das Hinlegen auf den Boden den besten Schutz.
    3. Auf Märkten und in Markthallen sind Bedarfsgegenstände, Lebens= und Futtermittel durch Abdecken gegen Einwirkung flüssiger Kampfstoffe zu schützen. Lebende Tiere sind durch Anbinden oder in sonstiger Weise an der Fortbewegung zu hindern und nach Möglichkeit einzudecken.
    4. Fahrzeuge, die nicht schienen= oder leitungsgebunden sind, sind nach Maßgabe der Nrn. 10 bis 13 anzuhalten und so abzustellen, daß die freie Durchfahrt nicht behindert wird. Die bestehenden Parkverbote gelten nicht für die Dauer des Fliegeralarms. Das Aufstellen von Fahrzeugen ist jedoch nicht gestattet:
      1. an engen und unübersichtlichen Straßenstellen sowie in scharfen Straßenkrümmungen;
      2. in einer geringeren Entfernung als je 10 m vor und hinter Hydranten, Brunnen, Pumpen, sonstigen Wasser­entnahmestellen, Brücken, Straßen­kreuzungen und =einmündungen, Eingängen zu Lazaretten, Kranken­häusern und Rettungsstellen; die Entfernung wird bei Straßen­kreuzungen und =einmündungen gerechnet von der Ecke, an der die Fahrbahn­kanten zusammentreffen;
      3. vor Grundstücksein= und ausfahrten, ferner vor Eingängen zu öffentlichen Luftschutz­räumen;
      4. an Verkehrsinseln;
      5. auf Gleisen von Schienenbahnen.
    5. Kraftwagen und Krafträder mit Seitenwagen sind möglichst auf freien Plätzen, sofern dies nicht möglich ist, am rechten (bei Einbahn­straßen auch am linken) Fahrbahnrand abzustellen; Kräfträder ohne Seitenwagen sind auf dem der Fahrbahn zugekehrten Rand der Gehbahn abzustellen.
    6. Mit Tieren bespannte Fahrzeuge und Tiertransporte biegen – soweit sie nicht etwa vorhandene Notunterkünfte für Tiere erreichen können – in Seiten­straßen ein. Die Fahrzeuge sind am rechten Fahrbahnrand (bei Einbahnstraßen auch am linken Fahrbahnrand) abzustellen. Die Zugtiere sind auszuspannen und – nach Möglichkeit in Höfen – an Bäumen o. dgl., nicht aber an Wasser­entnahmestellen (Brunnen, Hydranten usw.), notfalls auch am fest abgebremsten Fahrzeug kurz anzubinden. Auf Fahrzeugen befindliche Tiere sind nicht abzuladen, sondern auf diesen fest anzubinden. Ausgespannte und auf Fahrzeugen befindliche Tiere sind nach Möglichkeit einzudecken.
    7. Fahrräder sind an die Hauswände, an Bäume oder Laternen anzulehnen und nach Möglichkeit anzuschließen.
    8. Handwagen sind auf dem der Fahrbahn zugekehrten Rand der Gehbahn abzustellen.
    9. Schienen= oder leitungsgebundene Fahrzeuge haben mit einem Abstand von mindestens 10 Meter voneinander zu halten. Straßen­kreuzungen sind freizuhalten.
    10. Auf Führer, Begleiter und Insassen von Fahrzeugen findet § 2 Abs. 2 Nrn. 6 und 7 Anwendung.

§ 3 – Luftschutzmäßiges Verhalten nach der Entwarnung

  1. Der Fliegeralarm wird für die Bevölkerung durch die Entwarnung aufgehoben. Die Entwarnung geschieht durch Großalarm­anlagen (hoher Dauerton) oder durch die von dem örtlichen Luftschutzleiter bekannt­gegebene Art.
  2. Nach der Entwarnung sind folgende Maßnahmen durchzuführen:
    1. Der Luftschutzraum ist auf Anordnung des Ordners, des Luftschutzwartes oder der sonst mit der Aufsicht im Luftschutzraum betrauten Person zu verlassen.
    2. Bei Verdacht oder Feststellung von Kampfstoff ist dem Luftschutzwart, Betriebs= oder Werkluftschutzleiter Meldung zu erstatten. Das gleiche gilt in Fällen, in denen Bedarfs­gegenstände, lebens= und Futtermittel infolge sonstiger Einwirkungen von Luftangriffen in ihrer Verwertbarkeit beeinträchtigt werden.
    3. Die nach § 3 Abs. 2 Nr. 2 Buchst. c geschlossenen Gashähne dürfen nur mit Zustimmung des Luftschutzwartes geöffnet werden.

Teil II

§ 4 – Weisungsbefugnis

Den zur Durchführung dieser Verordnung ergehenden Anordnungen der Polizei= und Hilfspolizeibeamten sowie der Werk= und Betriebs­luftschutzleiter, Luftschutzwarte und Ordner in öffentlichen Luftschutz­räumen innerhalb ihres Zuständigkeits­bereiches ist Folge zu leisten.

§ 5 – Bekanntmachungen

Die nach den Vorschriften dieser Verordnung durchzuführenden Maßnahmen sind bei Aufruf des Luftschutzes durch den örtlichen Luftschutzleiter in geeigneter Weise bekanntzumachen.

§ 6 – Besonderheiten

  1. Die von dem Reichsminister der Luftfahrt und Oberbefehlshaber der Luftwaffe im Einvernehmen mit dem Stellvertreter des Führers zu bestimmenden Hoheitsträger der National­sozialistischen Deutschen Arbeiterpartei können nach Bestimmungen, die der Reichsminister der Luftfahrt und Ober­befehlshaber der Luftwaffe im Einvernehmen mit dem Stellvertreter des Führers erläßt, von der Vorschrift des § 2 Abs. 2 Nr. 6 abweichen.
  2. Im Rahmen der Weisungen des Reichsministers der Luftfahrt und Ober­befehlshabers der Luftwaffe kann auf den Gebieten des Werkluftschutzes und des erweiterten Selbstschutzes von den Vorschriften dieser Verordnung abgewichen werden.

§ 7 – Ausnahmen

  1. Die Wehrmacht und die Polizei können von den Vorschriften dieser Verordnung abweichen, soweit die Erfüllung ihrer hoheitlichen Aufgaben es erfordert.
  2. Abs. 1 gilt für die Luftschutzkräfte sinngemäß.

§ 8 – Luftschutzübungen

Bei Luftschutzübungen gelten die Vorschriften dieser Verordnung sinngemäß. Die Kreispolizei­behörde kann Erleichterungen von den Vorschriften dieser Verordnung durch Bekannt­machung zulassen, wenn es mit Rücksicht auf die Allgemeinheit (Wirtschaft, Verkehr) notwendig ist.

§ 9 – Fotografierverbot

Luftschutzanlagen und Luftschutzübungen dürfen nicht fotografiert werden, wenn ein entsprechendes Verbot bekanntgegeben ist.

§ 10 – Beschwerden und Strafen

  1. Der Ortspolizeiverwalter überwacht die Durchführung dieser Verordnung. Zur Durchführung kann er polizeiliche Verfügungen erlassen und diese mit Zwangsmitteln (Ausführung der zu erzwingenden Handlung auf Kosten des Pflichtigen, Festsetzung von Zwangsgeld – im Nicht­beitreibungsfalle Zwangshaft –, unmittelbarer Zwang) durchsetzen.
  2. § 17 und § 21 außer Abs. 3 der Ersten Durchführungs­verordnung zum Luftschutz­gesetz vom 4. Mai 1937 (Reichsgesetzbl. I S.559) finden entsprechende Anwendung.
  3. Bei Zuwiderhandlungen gegen § 1 Abs. 2 Nr. 6, § 2 Abs. 2 Nrn. 2, 7 und 8 findet § 9 des Luftschutz­gesetzes vom 26. Juni 1935 (Reichsgesetzbl. I S.827) nur Anwendung, wenn eine den genannten Vorschriften entsprechende polizeiliche Verfügung erlassen ist.
  4. § 9 des Luftschutz­gesetzes und Abs. 1 finden auf § 2 Abs. 2 Nr. 1 keine Anwendung.

Berlin, den 1. September 1939

Der Reichsminister der Luftfahrt und Oberbefehlshaber der Luftwaffe

In Vertretung
Milch

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